Duell bei Mondaufgang

Duellforderungen haben etwas wundervoll Symbolträchtiges. Das kann wohl niemand bestreiten, nicht wahr? Doch kaum jemand ist schon einmal gefordert worden – und hat eines bestanden. Das ist ja auch kein Wunder – schaut man sich einmal an, was es da gibt: Einen Handschuh vor die Füße geworfen zu bekommen ist eine Aufforderung zum Duell bis zum ersten Treffer. Lächerlich, nicht wahr? Und dann noch mit einem Degen! Ich meine – ein Degen! Das ist nicht einmal eine Waffe! Damit kämpft man nicht, damit tanzt man! *schüttelt den Kopf*

Einen Handschuh ins Gesicht zu bekommen fordert ein Duell bis zum Tod. So weit wollen wir doch nicht gehen, oder? Ein auf die Brust geworfener – das wäre bis zum ersten Blut. Ein wenig langweilig.

Nun – so standen wir vor gleich zwei Problemen. Wir wollten eine schönere Siegbedingung – und angemessene Waffen. Die Eingebung ereilte uns auf einem Mittelaltermarkt in Holland, am Stand eines Bogenmachers. Ganz viele Pfeilspitzen hatte er ausliegen – und wir suchten uns zwei wundervolle aus: 5 cm lang, aus schönem Stahl. Jeder von uns sollte daraus ein Messer bauen – mit den eigenen Händen, die Spitze anschleifen, und wir würden uns an einem besonderen Ort treffen, unter dem Mantel der Nacht – und unser Duell austragen.

Pfeilmesser

Nicht bis zum Tode. Nicht bis zum ersten Treffer oder zum ersten Blut. Sondern bis jemand von uns aufgibt. Der Ort, den wir erwählten, hat einen verwunschenen Charakter für uns – und eine lebendige Vergangenheit. Er ist unser Königreich – wir haben ihn seiner Zeit für uns entdeckt und erkundet – und dort gespielt – er scheint mit uns verwachsen zu sein. Und er sollte der Ort für unser Duell werden. Es handelt sich um ein altes, verfallenes Industriegebiet. Eine riesige Hochofenanlage, mit Stahlungetümen, Leitern, Stegen, Hochöfen, Schornsteinen – ein unbeschreiblich atmosphärisches Gelände. Wenn wir nachts hineinklettern und die unheimlichen Schatten uns umfangen, fühlen wir uns wie verzaubert und hilflos klein. Es ist perfekt!

Der Mond schien fast rund am Himmel, wir zwängten uns durch einen Spalt zwischen dem Zaun, der das Gelände umgab, und dem Boden und waren drin. Die Kälte spürten wir gar nicht – Hand in Hand gingen wir zwischen den Mauern und Trägern hindurch um einen schönen Ort zu finden, und waren so aufgeregt. Wir hatten so lange an diesen Moment gedacht – uns alles ausgemalt – und doch war es so anders als in unserer beider Gedanken. Wir waren uns beide bewusst, dass wir nicht zimperlich sein werden. Wir konnten uns beide nicht vorstellen, dass ein paar Wunden genügen würden, um den anderen zum Aufgeben zu bewegen. Ebenso aber vertrauten wir uns blind. Wir wussten, niemand würde den anderen absichtlich ernsthaft verletzen – oder zustechen. Wir fühlten uns so wundervoll unsicher in unserer Vertrautheit und Sicherheit und spürten eine total intensive Nähe zwischen uns – obwohl wir uns gleich gegenüberstehen würden.

Als wir einen schönen Ort im Zentrum der Anlage gefunden haben, entledigten wir uns unserer Kleidung. Denn – wir wollten nackt kämpfen, das hatten wir vorher schon einvernehmlich beschlossen. Natürlich, damit man das Blut sehen würde, um das was wir taten besser einschätzen zu können – und natürlich auch, weil es sich natürlicher, irdischer, sinnlicher anfühlen würde.

Wir umkreisten uns im Mondlicht – fühlten uns wie in Trance. Wir waren schüchtern, zurückhaltend – dann mutig. Kamen uns näher, in einem Wechselspiel aus Angst vor der Klinge des anderen und Übermut, Finten und kraftvollen Angriffen, wir hielten uns fest und stießen uns voneinander weg – und bald schon war die Haut, die in diesem Licht fast weiß wirkte, von roten Wunden durchzogen aus denen süßes Blut rann. Jeder von uns trug ein paar Narben davon – und wir beide halten sie in Ehren, denken mit Ehrfurcht und voller Glückseligkeit an diese Nacht zurück. Auch daran, was danach geschah, als wir noch stundenlang eng umschlungen unter dem Sternenzelt saßen, spürten, wie das Blut trocknete, klebrig wurde, wie das Zittern nachließ, die Aufregung sich legte und wir ineinandersanken.

Es begann als ein aufregendes Spiel – als etwas Symbolträchtiges, etwas Neues. Und es wurde doch so viel mehr – wurde zu etwas, das uns noch näher zusammenbrachte, als wir es erahnt hatten.

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